Obwohl die ESTAG (Energie Steiermark AG) die Entscheidung über den Baubeginn des Kraftwerks Graz Puntigam seit 2013 verständlicherweise hinauszögert, der Projektpartner Verbund AG aus dem Projekt nach etlichen Jahren der Projektpartnerschaft ausgestiegen ist, da dieses Vorhaben wirtschaftlich nicht darstellbar ist und sich die Rahmenbedingungen seit 2013 nochmals massiv verschlechtert haben, versucht Herr Bürgermeister Nagl weiter, wider allen ökonomischen und ökologischen Tatsachen, am Kraftwerksprojekt festzuhalten.
Die Studie von Dr. J. Neubarth, e3 consult, 2015, beschreibt für das Kraftwerk Graz Puntigam spezifische Stromgestehungskosten von 8,5 bis 9,5 Cent pro kWh. Diesen Preis muss man im Mittel über die Laufzeit im Verkauf erwirtschaften, um das Kraftwerk erfolgreich refinanzieren zu können.
An der EEX wird elektrische Energie am Spotmarkt (meint Lieferung unmittelbar) und am Terminmarkt (Lieferung zu einem späteren Zeitpunkt) gehandelt. Der Terminmarkt drückt somit die zukünftige Preiserwartung der Produzenten und Käufer aus. Stand 19.05.2016 wird elektrische Energie für Q1 2018 für 2,70 Cent angeboten. Die Angebote für Q3 2016 bis 2018 liegen zwischen 2,54 und 2,76 Cent/kWh.
Im Herbst 2013 kommunizierte ein ESTAG Aufsichtsrat “ Das der Vorstand darlegen müsse, das sich das Projekt rechnet. Die sei praktisch nicht möglich.“
Nun, seit Herbst 2013 hat sich der Großhandelspreis weiter drastisch gesenkt und auch die Perspektive hat sich nicht verbessert. Das der Großhandelspreis in den nächsten 10 Jahren nicht im Mittel über 8,5 Cent/kWh liegen wird, dafür muss man mit obigen Informationen kein Prophet sein und alles, was jenseits von 10 Jahren liegt, wird jeder seriöse Ökonom als hochgradig spekulativ bezeichnen. Trotzdem möchte ich Ihnen die durchschnittliche Erwartung aus 18 Vorhersagen (s. Studie, S. 17) von rund 6 Cent/kWh für 2030 nicht vorenthalten. Auch wenn man bei Laufkraftwerken mit langen Laufzeiten rechnet (z. B. 60 Jahren), dürfen Sie das nicht mit der wirtschaftlichen Visibilität verwechseln.
Bis vor einigen Jahren lief der Preis für elektrische Energie mit dem Preis für fossile Brennstoffe (Steinkohle, Erdgas und Erdöl) mit, durch den Ausbau nicht fossiler Kraftwerke, vor allem Windkraft und Solarkraft, hat sich der Preis für elektrische Energie aber entkoppelt. Der Peak um 2008 in Abbildung 1 ist eine historische Besonderheit, beeinflusst durch den hochspekulativen und geopolitisch motivierten Preis für fossile Energieträger.
Die hohen Stromgestehungskosten für das Kraftwerk Graz Puntigam rühren hauptsächlich daher, da das Kraftwerk in Bezug auf seinen Output eines der teuersten Laufkraftwerke Österreichs wäre. Verglichen wurden Investitionskosten von 60 Wasserkraftwerken in Österreich (s. Studie S. 14).
Die zusätzlichen Kosten, welche durch den unmittelbar notwendig werdenden Speicherkanal entstehen würden, wahrscheinlich rund 85 Millionen, zahlen dann wir Grazer noch oben drauf.
Wie rechnet eigentlich die ESTAG?
Eine vergleichbare Studie des Projektwerbers finde ich nicht. Auch Herr Dr. Neubarth hat bei der Recherche für seine Studie keine belastbaren, öffentlich zugänglichen, Fakten gefunden. Herr Bürgermeister Nagl gibt zur Rentabilität folgende Auskunft (09.03.2016):
Es gibt aber auch internationale Investoren, die mit einer Rendite von mindestens drei Prozent zufrieden sind und Interesse am Einstieg haben.
Wirtschaftlich wäre das Kraftwerk jedenfalls nur dann, wenn die ESTAG davon ausgeht, elektrische Energie zukünftig über den Stromgestehungskosten von 8,5 Cent pro kWh einkaufen zu müssen.
Da ich mir nicht vorstellen kann, dass ein externer privatwirtschaftlicher Investor in dieses Projekt einsteigen möchte, gilt als wahrscheinliche Variante, dass die Holding Graz oder eine der Töchter den Anteil der Verbund AG übernehmen soll. Bürgermeister Nagl dazu (09.03.2016):
Über die Energie Graz sind wir bereits daran beteiligt. Ob dieses Engagement noch stärker ausfällt, wird verhandelt werden.
Versorgungssicherheit in Österreich
Das Kraftwerk Graz Puntigam würde 0,7 % des steierischen Strombedarfs decken, selbst mit den Anteilen an den Kraftwerken Gössendorf und Kalsdorf hat die ESTAG keine nennenswerte Produktion. Die ESTAG ist weitgehend ein Stromhändler und Netzbetreiber, kauft zu Großhandelspreisen ein und verkauft Ihnen die Energie.
Eine gesteigerte Unabhängigkeit erreicht man durch Effizienzsteigerung in Erzeugung und vor allem im Verbrauch, hier liegt das weitaus größte Potenzial und dafür sollten wir das Geld in die Hand nehmen.
Darüber hinaus haben wir in Österreich außerordentliche Kraftwerksreserven, lesen Sie hierzu auch den Beitrag in der Presse vom Juni 2014, in dem der ehemalige E-Control Vorstand Walter Boltz zitiert wird. Diese Kapazität braucht man für die Versorgungssicherheit in den Wintermonaten, wenn der Beitrag von Sonnenkraft und Laufwasserkraft deutlich sinkt und gegenläufig der Energiebedarf hoch ist. Die Laufwasserkraft liefert genau in den kalten Monaten mit hohem Energiebedarf ihren geringsten Beitrag, da die Flüsse Niedrigwasser führen.
Erlebnis Stauraum
Der Rückstau würde erfahrungsgemäß genau so wenig ein Freizeitparadies werden, wie es einer der Stauräume der alleine 21! Verbund Kraftwerke an der steirischen Mur ist. Die Badegäste am Ufer bei glasklarem Wasser und die hohen Bäume entlang dem Rückstau, wie eine Allee hin zum Prachtbau Maschinenhaus, entspringen der Fantasie der Bildbearbeiter, nicht der wahrscheinlichen Realität. Abbildungen wie in diesem (Link) externen Artikel sind Beispiele dafür, wie die Fähigkeit von Kunden und Wählern eingeschätzt wird, Fiktion von Realität zu unterscheiden.
Eine Einschätzung einer Anrainerin des Kraftwerkes Weinzödl (Inbetriebnahme 1982) im Grazer Norden zu Stauräumen an der Mur finden Sie in diesem Video.
Ich streit da mit der ESTAG, weil in Weinzödl, wenn es sehr warm ist, dann fangt das Wasser an zu stinken, weil die Fließgeschwindigkeit nicht mehr geht (04:40).
Das Wasser ist so sämig, so grauslich, ich weiß nicht, irgendwie komisch (19:40).
Anders als in Abbildung 3 (linke Seite) haben wir in Graz keine Auwälder, wenn wir das grüne Band entlang der Mur roden, dann werden wir, insbesondere in Richtung Staumauer, eine Faulgas bildende Schlammödnis schaffen, gefangen durch seitliche Wälle, in welche die Anrainer fortan hineinblicken dürfen.
Sehen Sie sich in der Galerie unten die Bilder der Grazer Mur zwischen dem Stau Weinzödl im Norden und dem Stau Gössendorf im Süden an, und stellen Sie Ihrer politischen Vertretung die Frage, warum Sie für diese wirtschaftliche und ökologische Perspektive diesen gravierenden Einschnitt und Gesamtkosten von rund 200 Millionen € ertragen sollen. Sie haben jedes Recht auf akkurate Information (Kostenrechnung ?), Sie zahlen schlussendlich dafür, monetär und mit Lebensqualität.
Zusammengefasst
Desinformation, wenn auch nur fahrlässig, ist ein Zeichen für ein entfremdetes Verständnis im Umgang mit Wählern und Kunden.
Alle Steirer sind, zumindest finanziell, von diesem Projekt betroffen. Helfen Sie mit, die Diskussion auf eine breite Basis zu stellen und nehmen Sie mit Ihrer persönlichen Meinung am Diskurs in sozialen Medien, in den Kommentaren von Beiträgen, als Leserbriefschreiber oder sonst wo wahr.
Die einzige Branche, die vom Kraftwerksbau und vom Bau des Speicherkanals profitieren würde, ist die Bauwirtschaft. Land, Stadt, ESTAG, Energie Graz, Flora und Fauna und vor allem die Menschen werden sehr wahrscheinlich Verlierer sein.
Um die wirtschaftliche Seite ausführlicher zu beleuchten, arbeiten wir an einem detaillierten Artikel über die ESTAG und die 49 % Tochter Energie Graz GmbH & Co KG.
Liebe Grüße
Peter