Grazer Politikposse

Liebe Grazer, liebe Steirer!

Durch den hartnäckigen Unwillen Tatsachen anzuerkennen, laufen wir in Graz tatsächlich in Gefahr, bis zu 200 Millionen € für 2 Dauerarbeitsplätzei und eine Erhöhung der Stromproduktionskapazität in der Steiermark um 0.7%, in ein nicht rentables und ökologisch desaströses Projekt zu investieren.

Die Auswirkungen betreffen vorrangig die Grazer Bevölkerung, über das Landesunternehmen Energie Steiermark (ESTAG) werden aber alle Steirer in dieses Projekt mit hineingezogen.

Wenn Sie sich von der Schilderung und den Belegen im Folgenden überzeugen lassen können, leiten Sie den Link zum Artikel bitte weiter, die Sache geht über das Thema Feinstaub, das Fällen von 10.000 Bäumen in Innenstadtlage und den Umgang mit Steuergeldern zumindest alle Steirer direkt etwas an, für alle anderen ist es eine vielleicht unterhaltsame, wenn auch traurige Politikposse.

Die ESTAG ist der nunmehr alleinige (der Verbund ist wegen Unwirtschaftlichkeit ausgestiegen) Projektwerber für ein Wasserkraftwerk mitten in Graz, das wider einem negativen Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung und der bewiesenen Unwirtschaftlichkeit gebaut werden soll.

Ausnahmegenehmigung halt, das Instrument um unliebsame Fakten auszuhebeln. Bereits zum wiederholten Mal betreffend Kraftwerke an der Mur.

Gebaut werden darf nur, weil es der Projektwerber und die Stadtpolitik geschafft haben, vor dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof öffentliches Interesse? zu suggerieren und so den positiven Bescheid trotz massiv negativer Auswirkungen zu verteidigen.

Ökologisch und wirtschaftlich unsinnig, warum setzt sich Bürgermeister Nagl als treibende Kraft so vehement für das Projekt ein?

Da kann man und tatsächlich nur mehr mutmaßen. Fakt ist, dass man ob der Hartnäckigkeit und Verblendung der letzten Jahre den rechtzeitigen Ausstieg verpasst hat. Es ist wahrscheinlich, vor allem auf Seiten der ESTAG, das bereits einiges an Geld investiert wurde und jetzt niemand die politische Verantwortung für diesen Patschn übernehmen möchte. Zum anderen tut man sich als Berufspolitiker wahrscheinlich schwer, ein selbst erkorenes Prestigeprojekt einzustampfen.

Was sagt Herr Bürgermeister Nagl eigentlich dazu? Aus aktuellem Anlass, dem Ausstieg des Verbunds wegen Unwirtschaftlichkeit, brachte die Kleine Zeitung am 09.03.2016 einen zweiseitigen Bericht zur Situation.

Auf Seite 17, rechtsseitig, finden sich 3 Fragen an Bürgermeister Nagl. Frage 1 lautet:

Rechnen Sie angesichts der neuen Entwicklung noch mit der Verwirklichung des Kraftwerkes?

Siegfried Nagl: Selbstverständlich, dann wird das Murkraftwerk eben ohne Beteiligung des Verbundes verwirklicht. Es ist dieses Projekt mit dem Speicherkanal ökologisch enorm wichtig und es wird zu einer Aufwertung des gesamten Murraumes führen, was auch sozial von enormer Bedeutung ist.

Ansonsten wird kein weiterer Grund für den Bau genannt. „Ökologisch enorm wichtig” wurde fett hervorgehoben, um die Dreistigkeit dieser Aussage herauszustreichen. In Ermangelung von Wirtschaftlichkeit und nachhaltigen Arbeitsplätzen (gestehen wir dem automatisierten Kraftwerk 1 Dauerarbeitsplatz und dem Kanal einen zweiten Arbeitsplatz zu), zieht sich Herr Nagl wider besserem Wissen auf den Standpunkt der Ökologie zurück.

Das ist der selbe Herr Bürgermeister Nagl, dessen Partei in der Gemeinderatssitzung vom 25.02.2016 einen Antrag der Grünen und der KPÖ ablehnt, vor Beschlussfassung für den Speicherkanal die Sitzung des Umweltbeirates zu diesem Thema am 01.03.2016 abzuwarten und der es bei einem Investitionsvolumen von zu Zeit 85 Millionen € für den Speicherkanal (64,25 für den Kanalausbau plus 21 Millionen für die Adaption der Kläranlage Gössendorf ablehnt, Alternativszenarien zu erarbeiten.

Dabei dient Herrn Nagl ein (1) einziger Aspekt des Gesamtprojektes (Kraftwerk plus ZSK), um sich auf die Ökologie zu berufen, nämlich die Verringerung des organischen Eintrages in die Mur bei Starkregen.

Das bedingt sich dadurch, das bei sich bei Starkregen Mischwasser im Kanal bildet, welches zum Teil in die Mur entlassen werden muss. Dieses Ereignis tritt einige wenige Mal pro Jahr ein.

Das Szenario ist richtig, man kann allerdings entgegenhalten, dass die frei fließende Mur eine Selbstreinigungskraft besitzt, um dieses organische Material einige Male pro Jahr abzubauen. Das funktioniert aber nur, wenn die Mur turbulent fließt und somit ein Sauerstoffeintrag stattfindet und die Kette vom aeroben Abbau bis hin zum Abbau durch Mikro- und Makrolebewesen funktioniert.

Wird die Staustufe realisiert, dann schafft man eine kaum fließende Schlammödnis, unter deren Bedingungen diese Reinigung nicht funktioniert.

Der Eintrag von Mischwasser in Flüsse durch Großstädte ist international üblich und wird auch durch den geplanten Speicherkanal nicht eliminiert, sondern die nicht erwünschte Fracht wird verringert, was singulär betrachtet natürlich etwas Gutes ist. Die ökologische Beeinträchtigung durch den geplanten Kanalbau wäre aber so groß, das die Reduzierung des Mischwassereintrages in die Mur halt in Summe kein Benefit ist, ganz im Gegenteil.

Möchte man den Zustand verbessern, dann liegt die Lösung nicht im Bau eines 85 Millionen teuren Kanals, sondern man wird hier wohl bitte bei dieser Investitionssumme Alternativzenarien diskutieren. Sinnvoll wäre, Regenwasser erst gar nicht in den Kanal kommen zu lassen, sondern das wertvolle Gut anderweitig zu nutzen. Der Diskurs ist aber seitens Bürgermeister Nagl nicht erwünscht.

In Ermangelung einer fachlich fundierten positiven Antwortmöglichkeit auf die ökologischen Auswirkungen des geplanten Kanals sagt Professor Gruber im Kleine Zeitung Interview am 29.03.2016 „ … die Natur holt sich das zurück”. Wo bitte Herr Professor? Wo bekommen die Grazer 10.000 Altbäume und das Leben entlang der Mur zurück?

Bemerkenswertes liest sich auch am Ende eines Standard Artikles vom 01.03.2016. Herr Nagl wünscht sich „ … einen neuen Beirat. Einen, wo Expertise und Engagement besser getrennt sind.”

Man kann nachempfinden, beim diesem Verständnis zum Projekt sind engagierte Experten natürlich ein Hindernis.

Die Sitzung des Umweltbeirates am 01.03.2016 stellt dem geplanten Kanalbau für sich betrachtet ein vernichtendes ökologisches Zeugnis aus, die Umweltverträglichkeitsprüfung Jahre zuvor für das Kraftwerk kam zum selben Ergebnis für das Kraftwerk an sich und Herr Nagl sagt Ihnen, geschätzter Grazer, am 09.03.2016 als Replik auf den Ausstieg des Verbunds, publiziert in der Kleinen Zeitung am 07.03.2016, wider der ihm bekannten Ergebnisse und Gutachten, das der Bau des Kraftwerkes, inkludiert den Speicherkanal, ökologisch enorm wichtig ist.

An dieser Stelle, geschätzter Leser, urteilen Sie selbst.

Um Ihnen die Tragweite des Projektes nochmal vor Augen zu führen, Herr Bürgermeister Nagl nimmt für ein wirtschaftlich nicht rentables Projekt in Kauf:

  • 10.000 Bäume in Innenstadtlage zu fällen. Einen Jahrzehnte alten Bestand.

  • Die Wassertemperatur der Mur durch den Rückstau zu erhöhen

  • Die frei fließende Mur in eine Schlammödnis zu verwandeln, in der sich Faulgase bilden

  • Den kühlenden Luftzug zu unterbinden, den die fließende Mur mit sich bringt

  • Dem Huchen und anderen gefährdeten Wasserbewohnern den Lebensraum zu nehmen, die anderenorts mühsam wieder angesiedelt werden

  • Den Lebensraum der Fledermäuse und zahlreicher anderer Bewohner des grünen Bandes entlang der Mur zu vernichten

  • Das Landschaftsbild zu zerstören

  • Durch die Umsetzung des Projektes in der Feinstaubhauptstadt Graz die Belastung noch weiter zu erhöhen

  • Den Grazern ein Projekt umzuhängen, welches den ohnehin nicht geringen Schuldenstand von rund 1.3 Milliarden € signifikant erhöht

Das Kraftwerk kostet nicht 110 Millionen, sondern die rund 85 Millionen zusätzlich für den durch das Kraftwerk unbedingt notwendigen Kanal. Selbst bei 110 Millionen € baut die ESTAG seit 2013 nicht bzw. der Verbund steigt aus. Die 85 Millionen sollen die Grazer Bürger für die Vernichtung ihres Lebensraumes zum Großteil an die ESTAG quersubventionieren.

Das alles wird Herr Nagl wahrscheinlich mit Aufwertung und sozial meinen.

Die nächste Gemeinderatswahl in Graz wird 2017 stattfinden, vielleicht sogar früher. Ihren Unmut gegenüber dem Projektbetreiber ESTAG können Sie unmittelbarer kundtun. Dazu mehr im nächsten Beitrag zu diesem Thema.

Liebe Grüße

Peter

i Jedes Projekt in dieser Größenordnung schafft während der Umsetzungsphase Arbeitsplätze, das ist kein Spezifikum des gegenständlichen Projkets. Wertvoll sind die nachhaltigen Arbeitsplätz, die langfristig bleiben. 10 km Kanal und ein Kleinkraftwerk schaffen, wenn man wohlwollend ist, 2 langfristige Arbeitsplätze.

Veröffentlicht in Blog